Industrie und Wissenschaft: gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit

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Automation enablers
11. Juli 2024
Um mehr und zielgerichtetere Innovation zu erreichen, müssen Forschung und Industrie eng zusammenarbeiten. In einem neuen Buch von Forschern des NFS Automation wird untersucht, wie dies erreicht werden kann und wo derzeit die spannendsten Fortschritte zu verzeichnen sind.
CGI representation of an engine alongside its digital twin
Digitale Zwillinge sind nur eine der vielen Innovationen in der Automatisierung, die ein grosses Potenzial für den industriellen Fortschritt bieten.

Wie können wir das Potenzial der Regelungstechnik nutzen, um neue Technologien für unsere Gesellschaft zu entwickeln? Enorme Fortschritte, die grosse Auswirkungen auf alltägliche Bereiche von der Mobilität bis zur Fertigung haben werden, kommen auf uns zu. Doch die Kluft zwischen der Grundlagenforschung und der industriellen Praxis ist noch zu gross. 

Dieses Problem hat die NFS-Forscherin Silvia Mastellone dazu veranlasst, zusammen mit Alex van Delft, der sowohl im Industriemanagement als auch in der Forschung tätig ist, das Buch The Impact of Automatic Control Research on Industrial Innovation: Enabling a Sustainable Future zu verfassen. Die Idee entstand aus einer Arbeitsgruppe innerhalb der International Federation of Automatic Control (IFAC). Diese wurde gegründet, um Wissenschaft und Industrie zusammenzubringen, und in zwei Richtungen entwickelt: Erstens entstand daraus eine Agenda für angewandte Forschung. Diese soll Forschende anleiten, die aktuellen Bedürfnisse der Industrie und Gesellschaft wahrzunehmen, welche grosse Fortschritte in den Bereichen Innovation und Nachhaltigkeit versprechen. Zweitens wird eine Methodik vorgeschlagen (die "Wiege der Innovation"), die es ermöglicht, grossartige Ideen in die Praxis umzusetzen und Forschungsfragen zu formulieren, die sich an spezifischen technologischen Anforderungen orientieren. 

Gleiche Interessen, unterschiedliche Motivationen

Akademische Forschende beschäftigen sich leidenschaftlich mit der Suche nach neuen Lösungen für wissenschaftliche und technische Herausforderungen. Die gleichen Herausforderungen stellen sich Ingenieuren und Managerinnen in der Industrie, wo Innovation von grundlegender Bedeutung ist. Die Triebkräfte dieser beiden Situationen sind jedoch recht unterschiedlich. Während Wissenschaftler ihre Inspiration (und ihre bahnbrechenden Ideen) über einen langen Zeitraum verfolgen können, sind die Verbesserungen in der Wirtschaft oft inkrementell und zahlengetrieben; kurzfristige Lösungen werden bevorzugt. 

In ihrem Buch stellen Silvia und Alex ein Modell vor, das sie als "Wiege der Innovation" bezeichnen, einen Rahmen für den eigentlichen Innovationsprozess, der sich auf beide Seiten stützt. Die Empfehlung für Forschende, deren Arbeit von der Grundlagenforschung ausgeht und sich auf die Anwendung zubewegt, ist die Verwendung von Ansätzen wie Design Thinking oder agilen Methoden. Für die Industrie, in der die Innovation von den Bedürfnissen der Endnutzer ausgeht und daraus die Forschungsziele ableitet, lautet die Empfehlung, die Kundenanforderungen systematisch in Forschungsprobleme zu übersetzen.  

Graphic shows "Cradle of Innovation" as two flows linked in a cycle. Research-driven innovation moves from fundamental research to product, market-driven innovation moves from user needs to R&D.

Wie geht es nun weiter?

Wenn wir diese Perspektive einnehmen – Innovation für die reale Welt, angetrieben von der Neugier auf das grosse Ganze – können wir hoffen, den Wandel zu beschleunigen. Das Buch untersucht Fortschritte in der IT-Infrastruktur, der Mobilität, der Fertigung, der Energietechnik und mehr. Es zeigt künftige Richtungen für die Automatisierung auf und gibt Anregungen, wie die Industrie über das hinausgehen kann, was sie bereits tut. 

Digitale Zwillinge sind ein gutes Beispiel dafür. Die Idee hat die Phantasie von Fachleuten in so unterschiedlichen Bereichen wie dem Bauwesen und der Biologie beflügelt und sich bei der Entwicklung von Space Shuttles bestens bewährt. Ein digitaler Zwilling ist nicht nur ein Modell: Er bildet den genauen Zustand eines realen Objekts ab. Jedes Ereignis, jede Nutzung der Anlage wird im Zwilling abgebildet. Die Verwendung digitaler Zwillinge bietet also eine hervorragende Möglichkeit, die Flugfähigkeit nach einer Mission zu beurteilen, insbesondere angesichts der verlängerten Lebensdauer und der höheren Anforderungen an die nächste Generation von Raumfahrzeugen. Jedes Detail der Geschichte dieses speziellen Fahrzeugs kann aufgenommen und verwendet werden, um seinen aktuellen Zustand zu verfolgen - welche Teile möglicherweise unter Spannung stehen, ausgetauscht oder verstärkt werden müssen, und so weiter. Das reduziert das Rätselraten, senkt die Kosten und erhöht die Sicherheit. 

Dies ist ein Fall, in dem ein konkretes Problem, mit dem sich eine Industrie konfrontiert sieht, in der akademischen Welt zu spannenden Forschungsfragen geführt hat. Digitale Zwillinge werden heute in einer Vielzahl von Fertigungsprozessen eingesetzt und eröffnen die neue industrielle Revolution (die sogenannte Industrie 4.0). In der Schweiz zum Beispiel gibt es relativ kleine Betriebe, die mit veralteten Anlagen ausgestattet sind und nur langsam modernisiert werden, obwohl sie hoch innovative Produkte herstellen. Das Kapitel "Robotik und Fertigungsautomation" von Alisa Rupenyan und Efe Balta vom NFS Automation zeigt neue Wege auf, die es zu erforschen gilt. Wie sie beschreiben, wird die Forschung in einem so konkreten Bereich spannend und experimentell - man kann direkt mit Maschinen arbeiten, nicht nur theoretisch, und erhält sehr greifbare Ergebnisse. 

Auch die Leistungswandler, die das Herzstück industrieller Prozesse, der Elektromobilität und der Energiesysteme bilden, sind traditionelle Technologien, die vor neuen betrieblichen Herausforderungen stehen. Die Forscher können sich von diesen Anwendungen inspirieren lassen, da sie ein grosses Potenzial für wirkungsvolle Innovationen im Bereich der Regelungstechnik bieten. Der Betrieb dieser Geräte, die die elektrische und die mechanische Welt miteinander verbinden, wird durch den nur teilweise bekannten und dynamischen Charakter sowohl des Netzes als auch des Prozesses sowie durch die neuen Anforderungen, die durch die sich verändernden Energieerzeugungstechnologien entstehen, herausgefordert. 

Natürlich ist die derzeitige Energiewende auch mit zusätzlicher Komplexität verbunden, da die erneuerbaren Energien eine Reihe von Unsicherheiten mit sich bringen. Während das Netz immer datengesteuerter wird, werden auch die mechanischen Prozesse immer ausgefeilter und anspruchsvoller. Und mit der Weiterentwicklung der Standardkomponenten (z. B. Siliziumkarbid als Ersatz für Silizium in Halbleiterschaltern) werden diese Geräte schneller und effizienter - und sie bergen ein enormes Potenzial zur Verbesserung der Effizienz, Zuverlässigkeit und Leistung von Mobilitäts-, Energie- und Produktionssystemen. Wenn wir die zweite Hälfte der Wiege der Innovation betrachten, weist dies auf die Verantwortung der Industrie hin, bedingte Bedürfnisse in umfassendere Forschungsprobleme zu übersetzen: Der unmittelbare Druck, der durch diese Energiewende entsteht, kann für weitaus grössere Auswirkungen genutzt werden, und zwar in mehreren Bereichen.

Zusammenarbeit bringt alle weiter

Alle diese Beispiele sind von Natur aus interdisziplinär und zeigen, wie wichtig die Zusammenarbeit ist. Silvia spricht vom "NCCR-Effekt" bei der Entstehung dieses Buches: Dank des NCCR Automation kamen die Koautoren zusammen. "Der NFS Automation schafft einen Mikrokosmos, in dem Forschende mit interdisziplinärem Hintergrund zusammenkommen, um eine gemeinsame Vision voranzutreiben und Innovationen für eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen", sagt sie.

Der nächste Schritt? Silvia und ihre Mitarbeitenden planen, Tutorials auf Regelungstechnikkonferenzen zu veranstalten, um ihre Ergebnisse zu präsentieren und Forschende zu ermutigen, nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen. Diese Kampagne begann auf der European Control Conference in Stockholm im Juni, und als nächstes ist eine Session an der IEEE Conference on Automation Science and Engineering geplant. Die Industrie-Workshops, die üblicherweise Teil von Konferenzen sind (und manchmal vom NFS Automation durchgeführt werden), sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um konkrete Verbindungen zwischen den beiden Seiten herzustellen, die Wiege der Innovation zu errichten und unternehmerische Aktivitäten zu fördern, die die Forschung aus dem Labor herausbringen. 

Wissenschaftler, die grosse Ideen verfolgen, haben die Zeit, einen Weg zu erkunden, ohne genau zu wissen, wohin er führen wird. Die Industrie hat konkrete Ziele und einen strukturierteren Ansatz für die Forschung. Wenn wir zusammenarbeiten, kann das grosse Ganze die dringenden Lösungen beeinflussen und praktische Innovationen vorantreiben. Wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren möchten, bestellen Sie Ihr Exemplar des Buches hier.