Wir wollen sicher fair sein
Als in diesem Herbst zwei Wirbelstürme kurz hintereinander den Südosten der USA heimsuchten, waren Millionen von Haushalten und Unternehmen ohne Strom - in einigen Fällen wochenlang. Leider werden solche Probleme in den kommenden Jahren immer häufiger auftreten, und die Erfahrung zeigt, dass in der Regel die ärmsten Gemeinden am stärksten betroffen sind.
Systemausfälle sind häufig mit Problemen der sozialen Gerechtigkeit verwoben. Wenn die Infrastruktur zusammenbricht, sind wahrscheinlich diejenigen am stärksten betroffen, die am wenigsten Ressourcen und Unterstützung haben. Wir müssen die Infrastruktur robuster machen, um mit der Zunahme von Extremereignissen fertig zu werden. Denn Systeme, die ausfallen, wirken sich auf verschiedene Menschen unterschiedlich aus. Indem wir die Widerstandsfähigkeit erhöhen, können wir den Schaden für gefährdete Bevölkerungsgruppen begrenzen und so die soziale Gerechtigkeit verbessern.
Das Problem der Gerechtigkeit hat noch einen weiteren Aspekt: Ressourcenknappheit wird oft durch individuelle Übernutzung verursacht. Das ist die berüchtigte Tragödie der Allmende: Wenn Ressourcen öffentlich geteilt werden, führen eigennützige Handlungen Einzelner zu einer Verschlechterung für alle anderen. Dieses Spannungsverhältnis ist der Grund für alltägliche Probleme, die von Verkehrsstaus bis zur Überfischung reichen. Das extremste Beispiel ist natürlich der Klimawandel, wobei die unterentwickelten Länder bereits die Hauptlast von Dürren und Überschwemmungen tragen, obwohl sie am wenigsten zu den Emissionen beigetragen haben, die das Problem verursachen.
Aber was hat das mit Automatisierung zu tun?
Erst Prioritäten setzen, dann regeln
Die ungerechte Verteilung von Ressourcen zwingt zu Abwägungen und schwierigen Entscheidungen. Gerechtigkeit ist kein eindimensionaler Massstab; Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen haben zahlreiche Fairness-Massstäbe entwickelt, die auf unterschiedliche kulturelle Kontexte und spezifische Situationen anwendbar sind. Sollten wir zuerst ein Minimum an Fairness festlegen und dann die Effizienz des Systems maximieren? Oder andersherum: Ist es besser, die Fairness zu maximieren und gleichzeitig ein Minimum an Effizienz festzulegen? Diese Fragen liegen nicht in der Hand von Ingenieuren; sie gehen weit über die praktischen Aspekte hinaus!
Während sich die politischen Entscheidungsträger mit den grossen Fragen auseinandersetzen müssen (z. B. wer vorrangig behandelt werden sollte, welches Mindestdienstleistungsniveau akzeptabel ist und wie ein Gleichgewicht zwischen dieser Mindestdienstleistung für den Einzelnen und einer zuverlässigen Versorgung für alle hergestellt werden kann), kommt den Ingenieuren - insbesondere in der Regelungstechnik - eine wichtige Rolle zu. Und obwohl diese Rolle weitgehend unsichtbar ist, hat sie doch grosse Auswirkungen auf das reale Leben.
Unsere gemeinsam genutzten Infrastruktursysteme sind riesig und müssen sekündlich angepasst werden, so dass wir Algorithmen für ihre Verwaltung benötigen. Was wäre, wenn wir die Automatisierung nutzen könnten, um das System gerechter zu machen?
Regelungstechnik ist in allen Bereichen im Einsatz - von der automatischen Verkehrslenkung über die Energieverteilung bis hin zur automatischen Steuerung der Grundwasserversorgung der Landwirte. In all diesen Systemen kann Mathematik eingesetzt werden, um die Welt gerechter zu gestalten.
Eines der Gebiete, das sich mit Fragen der Gerechtigkeit befasst, ist die Spieltheorie, die ihren Ursprung in den Wirtschaftswissenschaften hat. Spieltheorie beschäftigt sich mit Konflikten und Kooperationen zwischen eigennützigen Teilnehmern, die auf gemeinsame Ressourcen zugreifen. In der Regelungstechnik wird die Spieltheorie mit dem Ziel eingeführt, ein effektives und für alle Nutzer faires Ergebnis zu gewährleisten.
Die modellprädiktive Regelung (MPC), eine etablierte Regelmethode für komplexe Systeme, erlaubt es, Systembeschränkungen zu berücksichtigen (Was ist von Seiten der Infrastruktur möglich, und welche Grenzen müssen eingehalten werden?), während Informationen über zukünftige Systemzustände in die Entscheidungsfindung in Echtzeit einfliessen.
Die Kombination von MPC mit der Spieltheorie kann einen effizienten Systembetrieb gewährleisten und gleichzeitig gesellschaftliche Ziele wie gerechte Verteilung in ein automatisiertes System einfliessen lassen. Ein wichtiger Schritt fehlt jedoch noch, bevor wir den Algorithmus im wirklichen Leben einsetzen können: rigorose Sicherheit und Robustheit zur Vermeidung von Systemausfällen. Wie wird die Funktionsfähigkeit des Systems durch Störungen (wie Messfehler oder Ausfälle der Kommunikationskanäle) beeinträchtigt? Oder durch fehlerhafte Vorhersagen (Wettervorhersagen, Ressourcenverfügbarkeit usw.), oder durch einzelne Nutzer, die dem System beitreten oder es verlassen, oder durch ihr Verhalten?
Ich arbeite daran, diese theoretische Lücke zu schliessen, und versuche insbesondere, Designparadigmen zu finden, die einen stabilen Betrieb und konsistente Ergebnisse gewährleisten, wenn sie in einem realen System installiert sind und ohne Überwachung laufen.
Viele Möglichkeiten für eine bessere Ressourcenverwaltung
Um einen Weg zu einer nachhaltigeren Ressourcennutzung zu finden, muss man nicht unbedingt spieltheoretische MPC einsetzen. In einem kürzlich durchgeführten Projekt mit Google haben wir beispielsweise daran gearbeitet, die mit "grüner" Energie ausgeführte Rechenleistung zu maximieren; und in einem anderen Projekt haben wir mit tiko Energy an der Entwicklung von Steuerungen für das Energiemanagement in intelligenten Häusern gearbeitet. In einem Fall ging es um die automatische Zuteilung von Aufträgen innerhalb eines Unternehmens, im anderen um die Entwicklung von Systemen zur Verringerung des Spitzenenergieverbrauchs und zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energiequellen in einem ganzen Viertel.
Obwohl sich diese Projekte um Energielösungen drehten, ist das nicht der Schwerpunkt meiner Forschung. Vielmehr geht es darum, Werkzeuge zu entwickeln, die in jedem komplexen, gross angelegten System mit begrenzten Ressourcen eingesetzt werden können. Vor allem in den Industrieländern sind wir an die bequeme Welt der unendlichen Verfügbarkeit von Ressourcen gewöhnt, aber unser sich veränderndes Klima und die instabile Geopolitik zeigen, dass dieses Modell eine Illusion ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Ressourcen, die wir haben, verteilen. Wer bekommt wieviel, wann - und warum? Und wie können wir die Ungleichheiten zwischen den Rassen und Klassen bei der Verteilung der Ressourcen angehen?
Wenn wir sicherstellen wollen, dass unsere gemeinsame Infrastruktur soziale Fairness und Chancengleichheit fördert, ist es dringend erforderlich, Robustheit und Sicherheit in das Design von automatisierten Lösungen einzubauen. Es ist spannend zu sehen, wie die Automatisierung ein Teil der Lösung für diese Herausforderung sein kann.