Bekannte Unbekannte: Wie der Unsicherheit in der Energieflexibilität Rechnung getragen werden kann
Haben Sie schon einmal von «lokalen Flexibilitätsmärkten» für Energie gehört? Es handelt sich hierbei um einen durchaus interessanten Ansatz.
Traditionell war die Ausrichtung von Energiemärkten ziemlich einfach: Kraftwerke erzeugten Energie und verkauften diese an die Verbraucher (sowohl an Unternehmen als auch direkt an Haushalte). Die Nachfrage war also verbrauchergesteuert und man erwartete, dass sich die Anbieter nach dieser richteten. Aber die zunehmende Abhängigkeit von erneuerbaren Energien macht die Sache um einiges komplizierter. Es ist schwierig vorherzusagen, wie viel Energie durch Solaranlagen oder Windkraftwerke erzeugt werden kann, da die wechselhaften Wetterbedingungen einen sehr starken Einfluss darauf haben. Die Menge an erzeugter Energie bestimmt in diesem Fall nur eine Seite, nämlich das Wetter, und nicht die Nachfrage. Da erneuerbare Energien mittlerweile aber einen immer grösseren Anteil in der Energieversorgung ausmachen, muss sich das Konsumverhalten an die Mechanismen, wie diese gewonnen werden, anpassen.
Der klassische Weg, wie das Konsumverhalten beeinflusst werden kann, geht über die Preissteuerung. Man kann dies als indirekte Möglichkeit für die Steuerung der Nachfrage bezeichnen: Durch Preiserhöhungen erhofft man sich, dass sich das Konsumverhalten entsprechend anpasst und dadurch weniger Strom verbraucht wird. Spezialtarife ausserhalb der Spitzenzeiten sind ein etabliertes Modell, um den Energieverbrauch in Zeitfenster mit geringerer Nachfrage zu verlegen, was gerade so funktioniert. Energieverbraucher in Haushalten tendieren dazu, ihr Verhalten entsprechend anzupassen, um den tiefsten Preis für Strom bezahlen zu können. Um von den tieferen Tarifen zu profitieren, waschen beispielsweise mehr Haushalte ihre Wäsche abends oder an Wochenenden anstatt während Bürozeiten, was den hohen Stromverbrauch tagsüber durch Büros und Fabriken ausgleicht.
Aber ein Versorgungsnetz, das immer mehr auf volatile Energiequellen setzt, muss auch Wege finden, um den Verbrauch flexibler zu gestalten, und zwar nicht nur über dessen Verlagerung in ein anderes, bestimmtes Zeitfenster, sondern indem die kurzfristige Anpassungsfähigkeit generell gefördert wird. Wir dürfen nicht von einer immer gleichmässigen Bereitstellung ausgehen, was bedeutet, dass ein durch Uhrzeiten festgelegter Preis nicht ausreicht, um den Verbrauch auf die Energiegewinnung abzustimmen. Wir brauchen vielmehr eine direktere Methode, um die Nachfrage zu beeinflussen, und genau hier kommen lokale Flexibilitätsmärkte ins Spiel.
Flexibilität als neues Verkaufsgut
In Flexibilitätsmärkten ist nicht zwingend Energie selbst das Produkt, das verkauft wird, sondern eher ihre reine Verfügbarkeit (die dann effektiv bezogen werden kann oder eben nicht). Flexibilität kann sowohl von Verbraucher-, aber auch von Anbieterseite ans System geliefert werden. In diesem Sinne stehen also sowohl die Verbraucher als auch die Energieproduzenten auf der Angebotsseite; beide besitzen flexible Ressourcen. Dem gegenüber stehen auf der Nachfrageseite die Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber (ÜNB und VNB), die als einzige Parteien Energiemengen einkaufen und die damit entweder die Verbraucher oder die Anbieter für ihre Flexibilität bezahlen.
Märkte sind natürlich auf Informationen angewiesen. Käufer und Verkäufer müssen ihre Ressourcen und ihren Energiebedarf offenlegen. Um also einen effizienten Flexibilitätsmarkt zu entwickeln, brauchen wir eine Möglichkeit, um im Vorherein ermitteln zu können, wie viel Flexibilität zur Verfügung steht. Das ist kompliziert. Deshalb untersucht Julie Rousseau, Forscherin am NFS Automation (PSL, ETH Zürich), wie das Flexibilitätspotenzial in einer Welt voller Unsicherheiten berechnet werden kann. Je mehr wir wissen (auch darüber, was wir nicht wissen), desto besser können wir uns anpassen.
Verbraucher können ihre Flexibilität verkaufen, indem sie ihre Energiespeicher nutzen. Wenn ein Haushalt ein Elektrofahrzeug besitzt, spielt es im Grunde keine Rolle, in welchem Zeitfenster dieses aufgeladen wird, solange der Ladevorgang am Morgen vollständig abgeschlossen ist. Auch das Haus selbst speichert Energie: In einem heruntergekühlten Haus die Grundtemperatur auf ein angenehmes Niveau anzuheben, braucht anfangs ziemlich viel Energie. Danach aber wird die Wärme – bei guter Isolation – für einige Zeit gespeichert. Diese beiden Beispiele gehören zu den energieintensivsten Tätigkeiten in einem Haushalt, wobei das Beheizen von Räumen besonders komplex ist.
In einem Haus mit einer bestimmten Grösse und das einem bestimmten Gebäudestandard entspricht, hängt die benötigte Energie für die Beheizung sowohl von externen (Wetter) als auch von internen Faktoren ab. Beispielsweise entsteht auch durch das Feiern von Festen oder durch Kochen Wärme in den Innenräumen. Und wenn die Bewohnerinnen und Bewohner in die Ferien gehen, muss ein Haus möglicherweise weniger stark beheizt werden, und so weiter. Entsprechend muss die gesamte Konsumflexibilität, die ein Haushalt anbieten möchte, diese sich ändernden Bedingungen, die den Bedarf des Haushalts möglicherweise beeinflussen, einbeziehen.
Das Einzige, was sich einfach voraussagen lässt, ist das Resultat, das man erzielen möchte: Wir können den Temperaturbereich für die Innenräume auf, sagen wir, angenehme 20–24 °C festlegen. Dabei dürfen wir davon ausgehen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner durchaus dazu bereit sind, ihren Energieverbrauch einzuschränken, solange die Temperatur der Innenräume in diesem festgelegten Bereich bleibt. Anhand dieser Eckdaten zum Haus können wir also abschätzen, wie viel Energie benötigt wird, um diesen Komfortlevel für den nächsten Tag aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass wir auch berechnen können, wie viel Flexibilität dieser Haushalt potenziell anbieten kann.
Mit Blick auf die Zukunft müssen wir aber davon ausgehen, dass weitere Unsicherheitsfaktoren dazukommen werden, die das ganze Szenario noch komplizierter machen.
Wir wissen nur, was wir nicht wissen
Wenn wir zukünftige Flexibilität basierend auf den aktuellen Gegebenheiten berechnen, ist nur eines sicher, und zwar, dass wir dabei Fehler machen werden. Je weitreichender der Zeithorizont, desto weniger sind wir dazu in der Lage, korrekte Berechnungen anzustellen, weil sich alle diese Unbekannten summieren. Die Wettervorhersage für den morgigen Tag ist ziemlich zuverlässig, und trotzdem gibt es auch hier immer noch unsichere Komponenten (z. B. die Sonneneinstrahlung). Ich kenne vielleicht auch meine persönlichen Pläne, und dennoch müssen wir rein rational davon auszugehen, dass das Modell meines Gebäudes diese nicht kennt. Die Unbeständigkeit all dieser Faktoren hat also einen enormen Einfluss auf das Flexibilitätspotenzial, das ich anbieten kann.
Unser Modell basiert auf einer wahrscheinlichkeitsbeschränkten Formulierung. Anstatt den gewünschten Temperaturbereich zu garantieren, wird dieser nur in 90 % der Fälle gewährleistet. Das bietet nach wie vor angemessenen Komfort und trägt gleichzeitig der Unsicherheit in der realen Lebenswelt Rechnung. Ausserdem ermöglicht es dem Haushalt, von der Verkaufsflexibilität zu profitieren, ohne auf Komfort und Sicherheit verzichten zu müssen. Es handelt sich also um einen Kompromiss: Der Verbraucher bietet dem Markt weniger Flexibilität an, als wenn die Unsicherheit gar nicht berücksichtigt würde, profitiert dafür aber von mehr Sicherheit, beispielsweise im Wissen, dass er nicht unerwartet mit einem heruntergekühlten Zuhause rechnen muss.
Klar ist, dass die Flexibilität eines einzigen Verbraucherhaushalts den Ausfall eines einzigen Kraftwerks niemals kompensieren kann. Je mehr erneuerbare Energien in die gesamte Stromversorgung einfliessen, desto wichtiger wird die Entwicklung eines Flexibilitätsmarkts, der die Anpassungsfähigkeit vieler einzelner Haushalte bündelt.
Aus diesem Grund ist unsere Arbeit so wichtig. Wir brauchen bessere Informationen und bessere Algorithmen, um die verfügbare Flexibilität berechnen zu können, um so einen funktionierenden Marktplatz aufzubauen. Wir können zwar die meisten Unsicherheiten, die den Energieverbrauch eines Haushalts beeinflussen, nicht reduzieren, aber wir können sie einrechnen und diese Daten in Systeme wie Smart Meter und automatisierte Steuerungen einspeisen, um den lokalen Flexibilitätsmarkt zu steuern und das Konsumverhalten zu beeinflussen.
Wenn dieses Modell auf eine ganze Gemeinde angewandt wird, kann es wesentlich dazu beitragen, den Energieverbrauch an die volatile Energieproduktion anzupassen und so die Belastbarkeit des Stromnetzes zu gewährleisten. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung von lokalen Flexibilitätsmärkten einen wesentlichen Beitrag an den Aufbau von wirklich nachhaltigen Städten und Gemeinden leisten wird und dabei hilft, Emissionen, unabhängig der sich verändernden Lebensstile, zu reduzieren.
Geschrieben von Robynn Weldon und Julie Rousseau