"Regelungstechnik kann uns dabei helfen, globale Probleme zu bewältigen"

Während des grössten Teils ihrer Geschichte hatten Algorithmen die Aufgabe, klar definierte digitale Probleme zu lösen. Die Bestimmung von Hypothekenbedingungen, etwa. Die Zuteilung von Nieren an Patienten oder die Ermittlung der schnellsten Flugroute für die Überquerung des Atlantiks. Die Software war darauf ausgelegt, ihre Aufgabe perfekt zu erfüllen. Sie war jedoch auf die digitale Cyberwelt beschränkt und interagierte nicht direkt mit ihrer realen Umwelt.
Seit etwa einem Jahrzehnt haben Rechenleistung, Datenverfügbarkeit und Fortschritte im Bereich der Algorithmik begonnen, diese Grenzen zu durchbrechen. Algorithmen interagieren zunehmend mit der realen, physischen Welt. Beispielsweise durch Empfehlungssysteme im Internet, die bestimmen, welche Inhalte die Nutzer sehen. Oder durch die Steuerung von autonomen Fahrzeugen. Dies ist Neuland für sie. Ein sehr komplexes neues Terrain, das mit Unsicherheiten behaftet ist. So kann es vorkommen, dass sie aus dem Ruder laufen - wie etwa 2010, als Hochgeschwindigkeits-Algorithmen für den Aktienhandel den Dow-Jones-Index innerhalb von Minuten um zehn Prozent einbrechen liessen.
Die Regelungstechnik hingegen verfügt über eine jahrtausendelange Erfahrung im Umgang mit Systemen, die mit der realen Welt interagieren. Von den ersten präzisen Zeitmessungen mit Wasseruhren im antiken Griechenland, über den Tempomat moderner Autos, bis gar zum computergestützten Hefeanbau: Durch das "Schliessen der Rückkopplungsschleife" zwischen dem System und der Umgebung, mit der es interagiert, mussten Kontrolltheoretiker immer Lösungen für die Unsicherheit der physikalischen Welt finden.
In einem zweiteiligen Symposium der ETH Zürich und des NFS Automation diskutierten weltbekannte Expertinnen und Experten der Regelungstechnik darüber, welche Erkenntnisse ihr Fachgebiet Ingenieuren aus den Gebieten der Optimierung und des maschinellen Lernens bieten kann, um besser mit der realen Welt interagieren zu können.
Intuition erlangen und der Umwelt helfen
Am ersten Teil des Symposiums nahmen folgende Gäste teil:
- Tamer Basar von der University of Illinois Urbana-Champaign, der einen Vortrag über "Policy Optimization for Optimal Control with Guarantees of Robustness" hielt,
- Michael Mühlebach vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme sprach über "Optimization with Momentum and Constraints: A Perspective from Smooth and Non-smooth Dynamics",
- Lacra Pavel von der University of Toronto diskutierte "System Theory for Algorithms in Games"
- und Saverio Bolognani von der ETH Zurich und des NFS Automation stellte "First-Order and Zeroth-Order Optimzation Algorithms as Model-Free Feedback Controllers" vor.

Im Anschluss an ihre Vorträge diskutierten die Redner in einer Podiumsdiskussion über die Entwicklungen auf ihrem Forschungsgebiet. Sie waren sich einig, dass die Regelungstechnik als Disziplin in den letzten Jahrzehnten erheblich gewachsen ist und viel zu bieten hat, um zum Verständnis einiger der grössten globalen Herausforderungen beizutragen. "Die Natur ist letztlich ein Rückkopplungssystem", betonte Tamer Basar. "Klimawandel, Umweltverschmutzung und andere wichtige globale Probleme sind daher solche, bei deren Bewältigung die Forschende der Regelungstechnik behilflich sein können". Lacra Pavel fügte hinzu, dass "rein rechnerische Ansätze aus dem maschinellen Lernen und der Optimierung keine Intuition für das zugrunde liegende Problem bieten. Die Regelungstechnik hingegen ermöglicht es, eine Intuition für die grundlegende Problematik zu erlangen, was besonders wichtig ist, wenn Algorithmen die reale Welt und die Gesellschaft beeinflussen".

Ein mögliches goldenes Zeitalter
Auch bei der zweiten Veranstaltung gab es eine Reihe hervorragender Präsentationen:
- Christian Ebenbauer von der RWTH Aachen sprach über "Control Theory as a Toolkit for Optimization Algorithm Synthesis: Case Studies and Future Challenges",
- Sean Meyn von der University of Florida thematisierte "Accelerating Optimization and Reinforcement Learning with Quasi-Stochastic Approximation",
- Laurent Lessard von der Northeastern University diskutierte "Robust control perspectives on algorithm analysis and design",
- und Niao He, die an der ETH Zurich und am NFS Automation forscht, stellte "Q-learning through the Lens of Dynamical Systems: from asymptotics to non-asymptotics" vor.

Gefragt nach ihrer Einschätzung zur Bedeutung der gegenwärtigen Zeit für ihr Forschungsfeld, sahen die Diskussionsteilnehmer ein grosses Potenzial für eine neue Ära der Regelungstechnik. Sean Meyn erklärte, dass dies seiner Meinung nach definitiv ein goldenes Zeitalter der Regelungstechnik ist. "Ich kann es fühlen! Wir befinden uns in einer Phase, in der wir echte Erkenntnisse aus dem Training neuronaler Netze gewinnen können, die auf Konzepten der Regelungstechnik basieren. Das ist wirklich aufregend", so Meyn.
Die anderen stimmten weitgehend zu, äusserten aber auch Vorsicht. Laurent Lessard, etwa, wies auf eine, wie er es nannte, "Sprachbarriere" hin. "Unsere Werkzeuge sind ausserhalb der Gemeinschaft der Regelungstechnik nicht wirklich bekannt, was ein Problem darstellt, wenn wir wirklich wichtige Herausforderungen in der realen Welt angehen wollen. Wir müssen mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen so kommunizieren, dass sie es verstehen", sagte Lessard.
Christian Ebenbauer schlug vor, dass "Forschende der Regelungstechnik ihre Werkzeuge für mehr reale Anwendungen verwenden sollten, um wirklich zu zeigen, wie sie zur Verbesserung von Algorithmen beitragen können".

Eine zuverlässigere automatisierte Zukunft
Ob dies tatsächlich ein goldenes Zeitalter der Regelungstechnik ist oder nicht, wird die Zeit zeigen. Die Symposien machten deutlich, dass sie das Potenzial hat, die kommenden Jahrzehnte der algorithmischen Expansion in immer mehr Bereiche der physischen Welt und der Gesellschaft zu prägen. Mit ihren Werkzeugen könnte uns die Regelungstechnik dabei helfen, diesen Weg, auf dem wir uns befinden, besser zu verstehen und sicherzustellen, dass wir in die von uns gewünschte Richtung steuern. Eine Richtung, die zu einer Welt der zuverlässigen Algorithmen und der Automation führt. Der NFS Automation wird sein Bestes tun, um seinen Teil dazu beizutragen.
Weitere Eindrücke von der zweitägigen Veranstaltung: