Just Good CARMA: Wie wir eine faire und effiziente Mobilität fördern

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25. September 2023
Herkömmliche Lösungen zur Verkehrsentlastung haben ein Problem: Sie sind von Natur aus ungerecht. Durch die Erhebung von Gebühren für den Zugang zu Strassen werden einkommensschwache Bevölkerungsschichten stark benachteiligt. Unsere Forscher haben vielleicht einen Weg gefunden, die Welt ein bisschen gerechter zu machen.
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Bild angepasst von Adobe Stock, mit Lizenz.

Das Problem ist, dass jeder auf der Strasse fahren, aber keiner im Stau stehen möchte. Als Reaktion darauf haben einige Städte Schnellspuren eingerichtet, die den Verkehrsteilnehmern die Möglichkeit bieten, eine Maut zu zahlen, um schneller voranzukommen. Andere haben Stauzonen eingerichtet und versuchen, die Autofahrer durch die Erhebung einer Gebühr ganz von den am stärksten betroffenen Gebieten fernzuhalten. Beide Lösungen begünstigen jedoch unverhältnismässig stark die Wohlhabenden, für welche die Gebühren nur wenig abschreckend wirken. Forscher der ETH Zürich und des NCCR Automation haben einen alternativen Ansatz entwickelt, den sie CARMA nennen.

Das Floss oder die Brückenüberquerung?

"Bevor es Geld gab, waren die Menschen daran gewöhnt, Gefälligkeiten zu tauschen. In gewisser Weise basierte die Wirtschaft in den kleinen Dörfern von einst auf dem Karma - dem Glauben, dass gute Taten gegenüber anderen in der Zukunft erwidert werden", erklärt der Hauptautor der Studie, Ezzat Elokda.

photo of Ezzat Elokda
Ezzat Elokda ist Doktorand am IfA
und IDSC, ETH Zürich.

"Dieses System sorgte dafür, dass der Zugang zu knappen Gütern und Dienstleistungen gleichmässig verteilt war. In einer alten Stadt, die durch einen Fluss in zwei Hälften geteilt ist, konnte beispielsweise ein Floss verwendet werden, um den Bewohnern den Weg zu einer weit entfernten Brücke zu ersparen, wobei die Bewohner die faire Nutzung des Flosses auf der Grundlage von Gefälligkeiten und Ansehen aushandeln konnten. Jeder kann es benutzen, aber das System bricht zusammen, wenn jemand versucht, das Floss zu sehr für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Es gibt keinen Platz für Egoismus".

 

Aber in der heutigen Grossstadt, in der ein komplexes Netz öffentlicher Ressourcen von Millionen von Fremden geteilt wird, regiert das Eigeninteresse. Wenn Millionen von Autofahrern individualistische Entscheidungen treffen, die auf ihrer eigenen Bequemlichkeit beruhen, z. B. die Autobahn zur Arbeit zu nehmen, kann kein Verkehrsteilnehmer dafür verantwortlich gemacht werden, einem anderen etwas wegzunehmen - aber der daraus resultierende Stau ist für alle schädlich.

 

Um den Nutzern von Ressourcen wie Strassen eine gerechte Aufteilung der Vorteile zu ermöglichen, mussten die Forscher einen Rahmen entwickeln, der es den Nutzern ermöglicht, indirekt miteinander zu verhandeln. Ausserdem bedarf es eines Gemeinschaftsgedächtnisses, um den Überblick über die gehandelten Gefälligkeiten zu behalten. Das Team formalisierte daher die so genannte Karma-Ökonomie als ein ausgeklügeltes spieltheoretisches Modell, das mathematisch ein gerechtes Ergebnis garantiert. Anhand dieses Modells entwickelten sie ein automatisiertes System für die unentgeltliche Zuteilung von Fahrspuren, das sie CARMA nennen.

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Carlo Cenedese ist PostDoc bei IfA, ETH Zürich.

Der Mitautor der Studie, Dr. Carlo Cenedese, erklärt: "Jeder Nutzer eines knappen Gutes oder einer knappen Dienstleistung - in diesem Fall die Schnellspur einer Autobahn - erhält die gleiche Anzahl von CARMA-Punkten. Jeden Tag können die Nutzer ihre Punkte für den Zugang zu Schnellspuren ersteigern. Diejenigen, die den Zuschlag erhalten, übertragen ihre Punkte auf diejenigen, die leer ausgehen und daher die regulären Fahrspuren benutzen müssen. Durch diesen automatisierten Prozess erhalten die Verlierer eines Tages sofort bessere Erfolgschancen in der nächsten Bietrunde. Es schützt die Knappheit der Ressource (so dass die Expressspur nicht verstopft wird), ohne die Reichen zu privilegieren."Mit gründlichen Simulationen konnte das Team zeigen, dass ihr CARMA-Modell nicht nur prinzipiell funktioniert, sondern auch messbare Vorteile gegenüber einem geldbasierten Mautsystem bietet. "Unser Modell reduziert nicht nur die Staus in gleichem Masse wie die Maut, sondern bietet auch einen gerechten Zugang zu den Überholspuren. Mit anderen Worten, es ist fair und effizient", sagt Carlo.

Getestet in der realen Welt

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Kenan Zhang ist Professorin an der HOMES, EPFL.

Um CARMA in der Praxis zu testen, arbeitete das Team mit Architekten in China zusammen, welches eine Kunstinstallation namens Chip-the-Trip als Teil der Shenzhen Biennale of Urbanism & Architecture 2022 entwarf. (Siehe Video unten, um einen Blick auf die Installation zu werfen.) Dr. Kenan Zhang, Mitautor der Studie, erläutert: "Wir haben das Bieterverfahren über eine mobile App in die Installation integriert. Beim Betreten der Installation werden die Besucher über die App aufgefordert, zwischen drei Verkehrsmitteln zu wählen: Privatwagen, öffentliche Verkehrsmittel und zu Fuss oder mit dem Fahrrad.Um das Erlebnis näher an die realen Bedingungen heranzuführen, werden für jeden Besucher nach dem Zufallsprinzip fünf verschiedene Reiseszenarien generiert, die vom morgendlichen Pendeln unter der Woche bis zum Familientreffen am Wochenende reichen."

Wenn sich die Besucher für das Auto entscheiden, müssen sie das Bieterverfahren mit ihrem anfänglichen Budget an CARMA-Punkten durchlaufen. Diejenigen, die sich für öffentliche Verkehrsmittel entscheiden, sind davon befreit, und diejenigen, die zu Fuss gehen oder mit dem Fahrrad fahren, sammeln Punkte für zukünftige Fahrten. Je nach gewähltem Verkehrsmittel bewegen sich die Besucher auf unterschiedlichen Wegen durch die Installation, die mit entsprechenden visuellen und akustischen Effekten unterlegt sind. "Die über die App gesammelten Daten werden uns ein erstes Verständnis dafür vermitteln, wie die Menschen auf das CARMA-Mobilitätssystem reagieren", sagt Kenan.

Während des dreimonatigen Ausstellungszeitraums nahmen rund 200 Besucher aktiv an der CARMA-Ausstellung teil. Erwartungsgemäss gaben die Besucher die meisten CARMA-Punkte für ihre morgendlichen Pendelfahrten ab (30 % der Gesamtgebote). Die meisten Besucher wählten jedoch den Fussweg für Kurzstrecken und/oder Freizeitwege (z. B. vom Büro zum nahe gelegenen Sportstadion nach der Arbeit). Interessanterweise ist der härteste Wettbewerb nicht beim morgendlichen Pendeln zu beobachten, sondern beim Szenario eines Freitagsausflugs mit Freunden. Ausserdem ist die Verteilung der CARMA-Gebote recht unterschiedlich: Einige geben ihre CARMA-Punkte aggressiv aus, während andere einfach die meiste Zeit zu Fuss gehen. Diese Ergebnisse geben einen Einblick in die Vielfalt der Präferenzen in der modernen Gesellschaft und zeigen, dass CARMA ein faires und wirksames Mittel ist, um diese Präferenzen zu berücksichtigen.

 

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Schenzen Biennale
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Schenzen Biennale
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Schenzen Biennale

 

Lesen Sie mehr:

Die Ergebnisse der Studie wurden auf dem Transportation Research Board Annual Meeting 2023 und der INFORMS Transportation Science and Logistics Conference 2023 vorgestellt.

Das Karma-Wirtschaftsmodell wird hier im Allgemeinen beschrieben.