Hinter dem Vorhang der Social-Media-Plattformen

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Forschung
10. März 2022
Ein Team von Forschenden der Universität Zürich, der ETH Zürich und des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Automation hat untersucht, wie Social Media Nutzer zu Influencern werden und sich Gemeinschaften um sie bilden. Ihre Ergebnisse könnten zu Massnahmen beitragen, die die Polarisierung auf diesen Plattformen entschärfen.
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Social-Media-Anwendungen sind schwer zu entschlüsseln. Bild: pxhere

Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok oder Twitter tauschen sich Gleichgesinnte über Inhalte aus, die ihren Interessen und Überzeugungen entsprechen. Dies führt zur Bildung von Gemeinschaften. Doch wie genau dieser Prozess abläuft, ist noch wenig verstanden. Forschende der Universität Zürich, der ETH Zürich und des NFS Automation haben untersucht, wie sich diese Gemeinschaften bilden und wie sich die zentralen Figuren – die Influencer – herausbilden. Ihre Ergebnisse, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, werfen nicht nur ein Licht auf diese Prozesse, sondern könnten auch Wege aufzeigen, um die Polarisierung, die auf diesen Plattformen häufig auftritt, zu entschärfen.

Von Freunden zu Followern

Nicolò Pagan is a post-doctoral researcher at the University of Zurich and member of the NCCR Automation.
Nicolò Pagan ist Post-Doktorand an der Universität Zürich und Mitglied des NFS Automation.

"Soziale Strukturen hängen traditionell von persönlichen Beziehungen ab – Freunde, Familien, Nachbarn und Arbeitskollegen, die Gemeinschaften bilden. Viele frühere Versuche, Strukturen in sozialen Online-Netzwerken zu untersuchen, waren daher oft in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften verwurzelt", erklärt der Erstautor der Studie, Forscher an der Universität Zürich und Mitglied des NFS Automation Nicolò Pagan.

Doch die Strukturen in sozialen Online-Netzwerken hängen nicht unbedingt von persönlichen Beziehungen ab. "Unsere Intuition war, dass dies vor allem auf neuere Plattformen zutrifft, auf denen Nutzer anderen folgen können, ohne eine andere Form der Verbindung herzustellen. Stattdessen würden die Strukturen eher auf der Qualität der Inhalte der Nutzer basieren", fügt Pagan hinzu. Mit anderen Worten: Nutzer, die die besten Inhalte anbieten, sammeln die meisten Follower – und werden so zu Influencern.

Qualität ist der Schlüssel

Um ihre Intuition zu testen, formulierten Pagan und seine Kollegen ein mathematisches Modell auf der Grundlage eines Twitter-Netzwerks mit über 6000 Nutzern aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Sie ordneten die Nutzer nach der Anzahl ihrer Follower (was sie als Hinweis auf die Qualität der Inhalte des Nutzers ansahen) und untersuchten die Reihenfolge der Verbindungen, die die Nutzer herstellten. "Unsere Analyse zeigte uns, dass die Nutzer im Laufe der Zeit bevorzugt Nutzern folgen, die einen höheren Rang – also mehr Follower – haben als diejenigen, denen sie bereits folgen", sagt Pagan. Die Ergebnisse bestätigten also nicht nur die Intuition des Teams, sondern zeigten auch, dass die Nutzer, die die hochwertigsten Inhalte produzierten, doppelt so viele Follower hatten wie die Nutzer mit der zweithöchsten Qualität und so weiter – ein Muster, das nach dem amerikanischen Linguisten George Kingsley Zipf als Zipfsches Gesetz benannt ist.

Anschliessend validierten die Forscher ihr Modell, indem sie dessen Vorhersagen zum Follower-Ranking und zu verwandten Netzwerkmerkmalen von Gemeinschaften auf der Plattform Twitch mit deren tatsächlichen Strukturen verglichen. "Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass unser Modell charakteristische Merkmale heutiger sozialer Online-Netzwerke recht gut abbildet – und zwar realistischer als bisherige Modelle", ergänzt Studien-Mitautor Florian Dörfler, Professor am Institut für Automatik der ETH Zürich und Mitglied des NFS Automation. Doch dies ist nur ein erster Schritt.

Regulierung käme zu spät

Florian Dörfler
Florian Dörfler is a Professor at the Automatic Control Laboratory of ETH Zurich and a member of the NCCR Automation.

Social-Media-Plattformen analysieren das Verhalten ihrer Nutzer und versuchen, deren Engagement zu erhöhen, indem sie ihnen die Inhalte zeigen, die ihnen wahrscheinlich am besten gefallen und mit denen sie am meisten interagieren. So tragen diese Plattformen zur Bildung sogenannter Filterblasen bei, in denen die Nutzer nur selten auf Informationen stossen, die ihren Ansichten widersprechen.

"In Bereichen wie der Politik oder der öffentlichen Gesundheit können diese Filterblasen jedoch zu einem Problem werden. Die Algorithmen, die zu ihrer Entstehung beitragen, sind darauf ausgelegt, die Einnahmen der Plattform zu steiger. Auf potenziell schädliche Nebenwirkungen für die Gesellschaft nehmen sie dabei kaum Rücksicht. Daher ist es wichtig, soziale Medienplattformen und ihre Algorithmen zu untersuchen. Mit Werkzeugen aus Bereichen wie der Regelungstechnik können wir zum Beispiel vorhersagen, wie Feedback-Leaning-Algorithmen, wie etwa Empfehlungssysteme, ein komplexes System – wie die Gesellschaft – beeinflussen", so Pagan.

"Solche Ergebnisse mit Erkenntnissen aus verschiedenen Disziplinen zu kombinieren, ist genau das, was wir im Rahmen des NFS Automation tun. So können wir die notwendigen Schritte empfehlen, um schädliche Folgen zu verhindern, bevor sie eintreten. Sich ausschliesslich auf regulatorische Reaktionen zu verlassen, um diese Entwicklung zu steuern, wäre wahrscheinlich zu langsam", so Dörfler abschliessend.

Angaben zu Publikation (auf Englisch): A meritocratic network formation model for the rise of social media influencers, Pagan et al., Nature Communications, 2022