"In vielen Projekten des NFS Automation gibt es spannende ethische Aspekte"

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Forschung
10. März 2022
David Shaw ist ein Ethiker inmitten eines Konsortiums aus Elektroingenieurinnen, Informatikern und Regelungstheoretikerinnen. Im Interview erklärt er, warum Automation und Ethik nicht zu trennen sind und woran er im Rahmen des NFS Automation arbeiten will.
David Shaw
David Shaw ist ausserordentlicher Professor für Gesundheitsethik und -recht an der Universität Basel und Mitglied des NFS Automation.

NFS Automation: Innerhalb des NFS Automation, wo die meisten Forschungsprojekte ihre Wurzeln in der Elektrotechnik oder Informatik haben, sticht Ihre Forschung zur Ethik hervor. Was hat die Ethik mit der Automation zu tun?

David Shaw: In der Philosophie gibt es das klassische Trolley-Problem – ein hypothetisches Szenario, in dem eine ausser Kontrolle geratene Strassenbahn auf dem Weg ist, mit einer Reihe von Menschen auf dem Gleis zusammenzustossen und diese zu töten. Eine unbeteiligte Person kann allerdings eingreifen und das Fahrzeug so umleiten, dass nur eine sich auf einem anderen Gleis befindende Person getötet wird. In bestimmten Situationen, beispielsweise wenn sich ein Unfall nicht vermeiden lässt, werden autonome Fahrzeuge möglicherweise ähnliche Entscheidungen treffen müssen. Die Frage ist dann, wie ein Algorithmus entscheiden sollte. Welche Art von Daten sollte in solche Entscheidungen einfliessen? Das sind ethische Fragen. Angewandte Philosophie, sozusagen.

Warum eignet sich der NFS Automation für die Untersuchung dieser Fragen?

Ein Grund dafür ist, dass die Beantwortung dieser Art von Fragen nicht nur ein Verständnis von Ethik erfordert, sondern auch Wissen darüber, was aus technischer Sicht machbar ist. Deshalb wollten meine Kollegin Bernice Elger und ich mit Informatikerinnen und Entscheidungstheoretikern zusammenarbeiten, die an ähnlichen Themen arbeiten. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir aus unseren früheren Forschungen gelernt hatten, dass in der Gesellschaft der Wunsch nach Vertrauen und Verlässlichkeit in künstliche Intelligenz und Automatisierung besteht. Dieser Wunsch beschränkt sich nicht auf autonome Fahrzeuge. Unter diesen Gesichtspunkten schien uns das vielfältige technische Fachwissen, das der NFS bietet, ein ideales Umfeld zu sein, um an diesen Themen zu arbeiten.

Was wäre Ihr ideales Ergebnis?

Das erste Ziel wäre die Entwicklung eines ethischen Rahmens für die Steuerung autonomer Fahrzeuge. Wir hoffen aber auch, im Rahmen der verschiedenen Projekte des NFS einen ethischen Beitrag zu leisten, wo immer dies nötig ist. Die Entscheidung, was in einem bestimmten Szenario am besten zu tun ist, betrifft alle möglichen Bereiche, von der Verkehrssteuerung bis zur Energieverteilung.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

In der Stromversorgung können beispielsweise Situationen auftreten, in denen die Nachfrage in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft nicht alle gleichzeitig gedeckt werden kann – eine solche Situation wurde etwa in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Bundes über mögliche Stromengpässe in der Schweiz ab dem Jahr 2025 beschrieben. Es gibt also sehr reale Szenarien, in denen Entscheidungen über die Ressourcenallokation getroffen werden müssen. Solche Entscheidungen beinhalten immer auch ethische Aspekte.

Sie erwähnten den Wunsch nach Vertrauen und Verlässlichkeit in der Automatisierung. Haben die technischen Wissenschaften diesen Wunsch ignoriert? Wenn ja, warum?

Nicht unbedingt. Aber Menschen die in technischen Bereichen arbeiten, denken oft, dass das, woran sie arbeiten, nichts mit Ethik zu tun hat. Für mich ist Ethik die Wissenschaft von der Moral. Es geht darum, die Dinge zu optimieren, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Wenn mehr Menschen über Ethik in diesem Sinne nachdächten, würden sie vielleicht schneller erkennen, dass ihre Arbeit in der Tat ethische Züge trägt. In fast allen Projekten des NFS gibt es spannende ethische Aspekte und Fragen. Ich freue mich also auf viele interessante Kooperationen.