«Optimierte Regelung ist für eine verlässlich automatisierte Zukunft zentral»

NFS Automation: Dir wurde kürzlich der Friedrich Wilhelm Bessel Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung verliehen. Wie kam es dazu?
Daniel Kuhn: Ich kannte den Preis ehrlich gesagt davor nicht. Ein Kollege, Professor Steffen Rebennack aus Karlsruhe war es, der von dem Preis wusste und mich nominierte. Der Preis ist interdisziplinär angelegt, so dass ich mit Forschern aus anderen Bereichen wie der Krebsmedizin konkurrierte. Daher dachte ich zunächst, dass meine Chancen, ihn mit meiner eher abstrakten Forschung zu gewinnen, ziemlich gering wären.
Die überraschenden Preise sind doch die besten.
(lacht).
Worum geht es denn bei deiner Forschung?
Grundsätzlich studiere ich mit meiner Forschungsgruppe sogenannte Optimierungsprobleme unter Unsicherheit. Wir versuchen also jeweils etwas unter unsicheren Bedingungen zu optimieren.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Wenn ich etwa Kapital am Aktienmarkt anlegen will, interessiert mich wie viel Gewinn die verschiedenen Wertpapiere im nächsten Jahr machen werden. Das weiss ich natürlich erst nächstes Jahr und muss mich daher unter unsicheren Bedingungen für diese oder jene Wertpapiere entscheiden. In anderen Fällen liegen Unsicherheiten in Messungen. Wenn ich etwa die Heizung eines Gebäudes optimal steuern will und dafür die Raumtemperatur mit Sensoren messen muss. Wie gehe ich damit um, dass die Messwerte immer mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet sind?
Klingt nach einem Balanceakt auf wackeligem Untergrund – quasi einem Seiltanz.
Sozusagen. In meiner Forschung denke ich über alle möglichen Realisierungen dieser Unsicherheiten nach und versuche jeder Situation entsprechend zu optimieren. Oft versuche ich die Kosten im «worst-case» zu minimieren.
Ist das nicht ein etwas pessimistischer Ansatz?
Das stimmt. Es zeigt sich in meiner Erfahrung allerdings, dass man trotz der Entscheidung basierend auf dem schlimmsten Fall auch in anderen Fällen ganz gut davonkommt. Im Anschluss an die Finanzkrise 2007, etwa, wurde viel darüber diskutiert warum so viele Banken Konkurs gingen. Ein Grund der häufig angegeben wurde, ist dass Banken alte Modelle verwendeten um Verträge zu bewerten. Diese Modelle funktionierten aber nur unter normalen Bedingungen. Während einer Krisensituation wie jener damals, lieferten sie keine sinnvollen Resultate. Sie bewerteten die Chancen auf Konkurse zu tief. Mit meinen Modellen, die für den schlimmsten Fall besonders optimiert sind, hätten sich die Banken besser gegen eine Krise absichern können.
Klingt nach einer guten Möglichkeit um besser durch eine Pandemie zu kommen.
Ich selbst habe meine Methoden nicht in diesem Gebiet angewendet, aber grundsätzlich wäre das möglich. Es gibt jedoch immer ein trade-off. Wie bei einer Versicherung zahlt man eine gewisse «Prämie», um sich auf den Krisenfall vorzubereiten. Bleibt der Krisenfall aus, waren diese Kosten umsonst. Letztlich ist es eine politische Frage welche «Prämie» man zu zahlen bereit ist.
Wie fügt sich deine Forschung in den NFS ein und wie könnte sie zur «verlässlich automatisierten Zukunft», welche der NFS anstrebt, beitragen?
Innerhalb des NFS bin ich an den Projekten zur Regulierung in einer datenreichen und unsicheren Welt beteiligt. Diese haben zum Ziel, mithilfe von Daten Unsicherheiten zu modellieren und damit schliesslich Regelungsabläufe zu optimieren. Optimierte Regelungsabläufe sind für eine verlässlich automatisierte Zukunft zentral.
Warum?
Nehmen wir etwa die Versorgungssicherheit. Kraftwerksbetreiber eines Stausees haben beispielsweise nur eine begrenzte Menge Wasser für die Stromerzeugung zur Verfügung. Die Wassermenge ist durch das Wetter beeinflusst und lässt sich daher nicht sicher voraussagen. Ausserdem variiert die Nachfrage und damit der Preis für den Strom. Nun müssen die Betreiber eine Strategie zum Betrieb des Kraftwerkes formulieren – wann produzieren sie Strom und wann nicht? Mit unseren Methoden können wir sämtliche Szenarien durchspielen – vom vollen See mit Dauerregen bis zur praktisch vollständig verdunsteten Pfütze während einer Dürre. Dadurch können wir die beste Strategie für jede Situation entwickeln und in die Regelungstechnik einbauen. Daraus resultiert schliesslich eine verlässliche Automatisierung des Kraftwerkbetriebs – und damit ein Beitrag an die Versorgungssicherheit.